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Die Physis von Materialien und anderes

von Clementine Schack von Wittenau

In einem Katalog über die Berliner Künstlergruppe ODIOUS, deren Mitglieder überwiegend in den achtziger Jahren an der Hochschule der Künste (HdK) bei dem Stahlbildhauer David Evison studiert haben, ist ein Beitrag dem „Jonglieren mit der Physis des Materials“ gewidmet 1. Darin heißt es, für den Bildhauer sei bedeutsam, welche Farbe das „Medium Stahl“ habe, ob er es mit anderen Materialien konfrontiere oder dessen ureigene Eigenschaften und den Aussagewert herausstelle, ferner ob er das Metall „direkt“, das heißt handwerklich durch Schmieden, Schweißen oder Schweißbrennen bearbeite und im Betrachter Assoziationen durch Erinnern wachrufe. Der Essay über die junge Bildhauergruppe entsteht 1988, ein Jahr vor der politischen Wende in Deutschland.

Im gleichen Zeitraum hat Wilken Skurk, der gebürtige Dresdner, eine zweijährige Ausbildung zum Schmuckgürtler absolviert und arbeitet danach als Gold- und Silberschmied. 1992 fängt er an, an der Humboldt Universität im Ostteil Berlins Bildende Kunst zu studieren, eine Fachrichtung, die später „abgewickelt“ wird, weshalb er – nach dem Abschluss mit dem 1. Staatsexamen – 1998 an die HdK in die Klasse von David Evison wechselt. Was hat ein „ehrgeiziger junger Bildhauer“, wie sein Lehrer ihn tituliert2, dessen Meisterschüler er 2001 gewesen ist, auf internationalen Glaswettbewerben verloren3, mag man fragen, gar in einer Glasgalerie?

Das Material Glas hat für Wilken Skurk während des Studiums kaum eine Rolle gespielt. Bei frühen Arbeiten kommt es gleich gar nicht vor, etwa bei der Plastik „Der gescheiterte Tänzer“ von 1998, bei der ein elegant geschwungener Holz-Keil in einem Stein eingeklemmt ist und, so lautet wohl die Botschaft, trotz ehrlichen Bemühens nicht vom Fleck kommt. Bei den ein Jahr später entstandenen „Bodo-Fragmenten“ verbindet der Künstler Glas noch fast zaghaft mit Eisenguß-Volumina, indem es, kräuseligen Manschetten gleich, mannshohe Torsi in der Mitte unterteilt. Erst ab 2000 tritt es gleichberechtigt neben anderen Materialien auf, so beispielsweise bei dem Werk „Corner“, wo ungleiche Teilstücke aus Stahl und Glas die Schenkel zweier ineinander verkeilter Dreiecke bilden. Die von einem Zentrum ausgehenden und in die Diagonale strebenden Schenkel wirken wie aus einem Guss, Transparenz hebt sich da von schwarzer Dichte ab, das eine wird durch das andere erst voll zur Geltung gebracht.

All diese Werke nehmen vieles von der zukünftigen künstlerischen Entwicklung Wilken Skurks vorweg. Eindeutig ist er ein Bildhauer, der mit verschiedenen Materialien parallel arbeitet, ob Eisenguss, Stahl, Holz, Stein, Beton oder Glas. Der eigene handwerkliche Zugriff ist ihm dabei wichtig. Nur beim Glas nimmt er einen erfahrenen Glasmacher aus einer Hütte bei Baruth in der Mark Brandenburg zu Hilfe und lässt sich von jenem die Gussformen, die er aus Stahlplatten vorher zusammenschweißt, unter seiner Aufsicht in Glas gießen. Auch er „konfrontiert“ die einzelnen Materialien miteinander, setzt Hart gegen Weich, Spröde gegen Biegsam, Rau gegen Glatt, Durchsichtig gegen Opak, und er tauscht Eigenschaften, die einem bestimmten Material zugeschrieben werden, gegeneinander aus. So kann eine Oberfläche aus Glas bei ihm rissig und klobig, eine aus Eisen dagegen einschmeichelnd sein. Analog dazu können die Materialien eine ihrer „Natur“ entsprechende Farbe haben, oder entgegengesetzt, eingefärbt sein wie ein anderer Werkstoff, so dass Holz bei ihm mal wie Stein und Beton wie Holz aussieht.

Durch diese Behandlung der Materialien heben sich Wilken Skurks Werke aber noch nicht wesentlich von denen anderer Bildhauer seines Umfeldes ab. Das Besondere an seinen Plastiken scheint vielmehr zu sein, dass er, ausgehend von einem bestimmten Thema, die Materialien in Beziehung zur Form setzt und durch deren Zusammenspiel Assoziationen im Betrachter freisetzt. Skurk bekennt von sich, er sei ein zutiefst politisch denkender Mensch, was zwangsläufig in seine Arbeit mit ein fließe. Bei dem „Schachspiel“ von 2003, das durch seine aufwendige Bearbeitung mit Kunststoff und Blattgold zunächst unverfänglich ausschaut, stehen sich quaderförmige Glasfiguren in Reih und Glied gegenüber. Durch näheres Hinsehen aber sind auf den Stirnseiten der Figuren Firmenlogos zu erkennen, bei der einen Partei zum Beispiel die Zeichen von Daimler-Crysler und Telekom, auf der Gegenseite etwa die Logos von General Motors und City group. Wilken Skurk bemerkt dazu, daß sein vielgestaltiges Werk die heutige, kommerziell bestimmte Welt widerspiegeln solle, in der europäische und amerikanische Unternehmen um den besten Platz auf dem globalen Markt wie auf einem Schachbrett kämpften.

Das Thema „Wirtschaftliche Verflechtungen“ beschäftigt den Künstler auch weiterhin. So läßt er sich bei den gleichfalls 2003 entstandenen Werken "„Global Player I und II“, die auf dem Jutta Cuny-Franz Memorial Award 2005 ausgestellt gewesen sind4, durch die Logos der international agierenden Konzerne Daimler-Chrysler und Deutsche Bank inspirieren. Beide Plastiken sind übermannshoch, abstrakt. Beim einen greifen, einem monumentalen Zirkel gleich, zwei Stahl-Streben von einer Mittelachse aus in den Raum, dabei knicken sie auf halber Strecke ein und bohren sich dann mit den Spitzen in den Boden, während eine dritte Strebe aus Gussglas sich unter der Last des schweren Metalls gefährlich biegt. Der Mercedes-Stern ist vage zu erahnen. Doch viel nachhaltiger prägt sich dem Betrachter die Aggressivität der weit ausholenden Form ein, die zwar in sich labil, aber in dessen Vorstellung bei Druck von außen oder innen sofort zurückzuschlagen bereit wäre. Bei dem anderen Werk wird entsprechend das Logo „der größten Bank in Deutschland“ zum Ausgangspunkt der Gestaltung. Das Quadrat ist in die Dreidimensionalität übersetzt, die Form nach allen Seiten hin offen. Viereckige Balken, überwiegend aus Stahl, bilden ein Gerüst, einer legt sich hausgiebelartig über den anderen, am Boden arbeiten sich Balken aus gegossenem Glas, scheinbar unsichtbar, da transparent, wie Fangarme in alle Richtungen vor.

Bei den Formen seiner Plastiken folgt Wilken Skurk sichtlich nicht einem starren Kanon, sondern er unterlegt ihnen analog zum Thema einen bestimmten Ausdruck, was zwangsläufig gestalterische Unterschiede nach sich zieht. Von daher ist die aus Stahl und Glas gebildete Form bei den „Global Players“ „modern“, sozusagen weltoffen. Die viel besprochene Plastik „Bruderkuß“5 wirkt dagegen formal archaisch, wohl in der künstlerischen Absicht, dass sie ein inzwischen historisch gewordenes Ereignis nochmals eindringlich beschwört. Angeregt durch ein altes Foto, auf dem sich Breschnew und Honecker als Führer sozialistischer Staaten im Bruderkuss vereinen, bringt Skurk zwei grundverschiedene Materialblöcke zusammen. Ein schwerer, grob behauener Holzklotz mit angedeutetem Kopf und Arm „umfängt“ einen schlanken „Körper“ aus Gussglas, der ihn am Scheitel fest umklammert. Aber eigentlich scheint es, dass der scherenartig aufgeklappte Holzkopf ironischerweise als Nussknacker fungiert und im Begriff ist, das Glas zwischen seinen scharfen Zähnen zu zermalmen.
Wilken Skurk will nach eigener Aussage bei dem von ihm bevorzugten Thema der „Verbindungen, Begegnungen, Beziehungen“ verhaltene Spannungen und Gegensätze zum Ausdruck bringen, und dies nicht nur mit gesellschaftskritischem Hintergrund, sondern auch auf die Alltagswelt bezogen. Das belegt eine jüngst entstandene Werkfolge, die jetzt den Titel trägt „Berlin I, II, III“, aber vorher „zuhause“ hieß. Anlass der Entstehung sind Luftaufnahmen der Stadt Berlin gewesen, wo der Künstler mit seiner Familie lebt. Auch die Plastiken sind aus der Vogelperspektive gesehen, man erkennt verkürzt wiedergegebene Dächer, einen Kirchturm und Einblicke in einen verwinkelten Hinterhof. Das zuoberst sozusagen aus der Luft Gesehene besteht aus Eisenguß bzw. aus weiß eingeriebener Bronze, die Mauern, also das, was im Boden fest verankert ist, dagegen aus gegossenem Glas. Die Dächer haben eine verhältnismäßig glatte Oberfläche, die sich bei Berührung angenehm anfühlt, und sie sind leicht geschwungen. Die Glasmauern dagegen weisen Risse, Schwielen und Narben auf, das Material ist beileibe nicht schön oder brillant, eher hässlich und ungestalten, die Formen entsprechend dick und klobig. Und doch fällt dem je nach Lichteinfall bläulich oder grünlich schimmernden Glasmaterial offensichtlich die Rolle zu, Schwerelosigkeit und Unstofflichkeit zu suggerieren, weshalb David Evison in dem Zusammenhang von „entkörperten Werken“ spricht 6. Denn durch ihre gläserne Transparenz scheinen die Häuser dem Erdboden zu entschweben, sie scheinen sich in Luft aufzulösen, sind unwirklich wie eine aus dem Flugzeug gesehene, verkleinerte Stadtlandschaft. Die verhaltene Spannung liegt also hier nicht nur in den materialbezogenen und formalen Gegensätzen. Vor allem äußert sie sich in der physikalisch gesehen, widersinnigen Umkehrung von Lastendem auf Unkörperlichem. Dadurch macht der Künstler die inhaltliche Aussage bei seiner Werkfolge noch zwingender.

Wilken Skurk ist trotz seines intensiven Umgangs mit Glas kein „Glasbildhauer“. Dennoch könnte er der allgemeinen Glasszene wichtige Impulse geben, dadurch dass der Werkstoff in seinen Augen keine besondere Wertigkeit hat und von ihm beliebig mit anderen Materialien kombiniert wird. Ein Begriff wie „Materialästhetik“ ist ihm fremd, seine künstlerischen Botschaften vermittelt er nur durch die Form, das Material, welches auch immer, ist ihm bloß Mittel zum Zweck. Diese Feststellungen klingen für ihn als Bildhauer banal, in der Glasszene sorgen sie möglicherweise für Zündstoff. Die Auseinandersetzung mit seinem Werk könnte dort jedoch fruchtbar wirken und ihm so die Rolle eines Katalysators zufallen, womit die eingangs gestellte Frage indirekt beantwortet wäre.

 

(1) Beck, Rainer. ODIOUS: Konkret-Organische Raumplastik. ODIOUS. Gisela von Bruchhausen, Klaus Duschat, Klaus H. Hartmann, Gustav Reinhardt, Hartmut Stielow, David Lee Thompson. Ausst.Kat. Berlin 1988, S. 12 ff. Ihren Namen (odious, engl. hassenswert, abscheulich) haben sich die Künstler gegeben, weil ihnen in der HdK immer vorgeworfen wurde, sie machtn bei ihrer Arbeit Staub und Lärm. Die Gruppe besteht heute noch. Wilken Skurk kennt einige einige der Bildhauer, obwohl sie eine Generation älter sind als er.

(2) Evison, David. „Zum Werk von Wilken Skurk“. Unzerbrechlich. Wilken Skurk. Ausst.Kat. Berlin 2002, n.pag.

(3) Ricke, Helmut. „Jutta Cuny-Franz Memorial Award 2003“. Neues Glas / New Glas, Nr. 3 (2003), S. 79-80, Abb. Ricke, Helmut. „Jutta Cuny-Franz Memorial Award 2005“. Neues Glas / New Glas, Nr. 3 (2005), S. 75-78, Abb. (abgekürzt: Ricke 2005).

(4) Ricke 2005, (s. Anm. 3), S. 77-78.

(5) Ricke 2005 (s. Annm. 3), S. 78. Andrea Breitengraser. „Wilken Skurk: ‚Bruderkuss‘“. Pressenotiz, 1.9.2005. Veit Stiller. „Breitengraser jetzt ‚contemporary sculpture gallery‘“. Die Welt, 16.9.2005.

(6) Zit. a.a.O. (s. Anm. 2).

 

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