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Wilken Skurk
Rede zur Eröffnung der Ausstellung in der Galerie B, Sinzheim,
am 14. Oktober 2007, von Clementine Schack von Wittenau
Als ich vorgestern die neuen Werke von Wilken Skurk in der Galerie B
erstmalig sah, fragte ich mich, wie Sie, verehrte Besucherinnen und Besucher,
darauf reagieren würden. Sie kommen sicher zum großen Teil
aus dieser schönen Gegend Badens, aus einer geordneten Welt, in der
die Weinberge kerzengerade angelegt sind, in der sich adrette Häuser
hinter gepflegten Vorgärten verstecken und blitzblanke Autos dicht
an dicht an winkligen Hangstraßen abgestellt sind. Dann stellte
ich mir vor, dass es Ihnen heute vielleicht ähnlich ergeht wie mir
vor kurzem, als ich die Biennale in Venedig zum ersten Mal besuchte. Ich
sah dort viele Video-Installationen, eine besonders einprägsam, von
dem Australier Shaun Gladwell stammend. Ein hoch gewachsener Mann, ein
Farbiger, jonglierte auf einem Surfbrett auf einer Plattform über
der Meeresbrandung. Man hörte die stürmischen Wogen immer näher
kommen, sie leckten an dessen Brett, bildeten eine immer größer
werdende Lache um ihn herum. Doch der Mann umfuhr sie in kreisenden Bewegungen,
tänzelte nach rechts, nach links, sprang in die Höhe wie einer
aus weiland John Crankos Balletttruppe in Stuttgart. Der Mann agierte
also, nahm die Herausforderungen der Naturgewalt an, schuf aus ihnen immer
wieder neue Tanzfiguren. Im japanischen Pavillon der Biennale sah ich
Unmengen behauener Granitsteine, in sie Zeichnungen und aufgeklebte Pflanzen
eingelassen, die der Künstler, Masao Okabe, in Hiroshima aufgelesen
hatte. Ich sah ein großes Wikinger-Schiff, aus lauter zertrümmerten,
bunten Glasbrocken zusammengefügt. Es war der finnische Beitrag von
Maaria Wirkkala im skandinavischen Pavillon.
Und wie mag es Wilken Skurk, dem gebürtigen Dresdner, ergangen
sein, als er zum ersten Mal in diese beschauliche Badener Gegend gekommen
ist? Er, der als junger Erwachsener die alte DDR hat auseinander fallen
und sich neu strukturieren sehen, der auch jetzt ringsum von Berlin, seinem
Wohnsitz seit der Wende, Veränderungen von Vertrautem, Zerstörung
und Wiederaufbau ausgesetzt ist? Er hat die Zeit des Umbruchs jedoch sinnvoll
für sich genutzt. Nach Abschluss der Lehre als Schmuckgürtler
in Quedlinburg ist er an die Humboldt-Universität und später
an die HdK in Berlin gegangen, um Bildende Kunst zu studieren. Wundert
es da einen, dass der politische Wechsel und die persönliche Wende
seitdem tiefe Spuren in seiner künstlerischen Arbeit hinterlassen
haben? Dan Klein hat in dem Zusammenhang im Katalog von „deconstruction“
gesprochen.
Wilken Skurk sammelt keine Gesteinsbrocken auf wie der japanische Künstler
auf der Biennale, und er ist auch kein Surfbrett-Tänzer, der sich
neue Figuren ausdenkt. Im Gegenteil, sein Beruf ist hart. Er macht sich
die Finger dabei schmutzig in seinem „Röhren-Atelier“,
wie es jemand genannt hat, in einer aufgelassenen Sprengstoff-Fabrik vor
den Toren Berlins – daher die Fingerabdrücke auf dem Katalogumschlag,
als Gag natürlich. Aber er ist ein Sammler im Geiste und ein Bildner.
Er reagiert auf seine Umgebung, er nimmt das Zerstörte an und fügt
die Fragmente wieder zu einem Ganzen. So entsteht ein neuer Bedeutungsgehalt.
Wachen Auges durchstreift er die Stadtlandschaft, er sieht Abbruchhäuser,
Bauruinen, weg geworfene Sanitäreinrichtungen, zerborstene Fensterrahmen,
Giebel, Nischen, abblätternden Putz – all dies speichert er
in seinem Hirn und bringt es in Gedanken wieder zusammen. Dann folgt der
tatsächliche konstruktive Aufbau der Arbeiten. Er nimmt Abdrücke
von den vorgefundenen Relikten, bereitet Formen für den Guss in Metall
und Glas vor, er überarbeitet die schweren Einzelteile nach der Herausnahme
aus der Gussform und verbindet sie miteinander, aber ohne die inneren
Zusammenhänge, die ihn ursprünglich inspiriert haben, zu verwischen.
So oder so ähnlich muss man sich den Entstehungsvorgang seiner Skulpturen
vorstellen.
Wilken Skurk legt Wert darauf hervorzuheben, dass seine jüngsten
Arbeiten nun nicht mehr „lieblich“ seien wie die älteren.
Doch gingen sie nach wie vor von einem narrativen Moment aus und seien
in der Ausführung wiederum abstrakt. Es gibt aber noch andere Unterschiede,
vergleicht man die Werke aus der früheren Schaffensperiode mit denen
aus der heutigen. Die Skulpturen der Berlin-Folge zum Beispiel erheben
sich auf staksigen Gussglas-Pfeilern, die den Eindruck erwecken, als schwebten
sie über dem Boden. Deshalb nannte sie Wilken Skurks Lehrer an der
HdK, der englische Stahlbildhauer David Evison, „entkörpert“.
Bei der Arbeit Nest, die direkt am Eingang der Galerie zu sehen ist, besteht
das Fundament ebenfalls aus semi-transparentem Gussglas. Man meint dort
Treppenaufgänge, Fenster und Wanddurchbrüche zu erkennen, die
das Licht einfangen. Die hellen und schattigen Partien, die Laufspuren
und inwendigen Blasen des verflüssigten Glases korrespondieren mit
dem Mattglanz des Neusilbers, mit den Graten, den Bruchkanten und den
von den Styropor-Abdrücken herrührenden Kügelchen auf der
Metalloberfläche. Da ist es wieder, das Jonglieren mit der unterschiedlichen
Beschaffenheit der Werkstoffe, mit deren Zusammen- und Auseinandergehen,
mit heraufbeschworenen Erinnerungen an die Realität, so dass die
Materialien zu Bedeutungsträgern werden. Aber die Glasstreben bei
der Skulptur dringen nun tief in den Metall-Block ein. Infolgedessen bilden
beide eine unlösbare Einheit und das ganze Konstrukt ist geerdet.
Aus der Vorderansicht wirkt es noch verschlossen und abweisend. Nach hinten
jedoch öffnet es sich in voller Breite mit Bögen, Winkeln und
planen Flächen. Der Betrachter fühlt sich so an einen abgeschiedenen
Berliner Hinterhof erinnert, in dem man sich wie in einem Nest behaglich
einrichten kann.
Entsprechende Beobachtungen lassen sich auch bei anderen Werken der Ausstellung
machen. Die Kathedrale in der Mitte des Raumes ist bewusst so placiert,
dass sie vom Eingang aus gesehen aus einer erhöhten Perspektive auftaucht.
Sie steht ohne Sockel einfach auf dem Holzfußboden, und doch scheint
sie der Wirklichkeit enthoben. Liegt es an dem Titel, der bestimmte Assoziationen
weckt? Ich glaube kaum, oder besser gesagt, nicht nur. Ein großer
Bogen im Metall – ein „Portal?“ – öffnet
sich dem Blick, spannt sich weit über dem Fundament in die Höhe.
Durchbrochene Glaskuben an der seitlichen und rückwärtigen Front
unterstreichen den Eindruck der Durchlässigkeit. Aber obwohl man
gemeinhin dem Glas die Eigenschaft zuspricht, Licht zu schlucken und zu
reflektieren, übernimmt nun die Bronze diesen Part. Arkaden, Gewölbe,
Nischen, Hohlräume gliedern die Fassaden und erzeugen so ein lebhaftes
Spiel mit Licht- und Schattenwirkungen. Der Betrachter kann gar nicht
umhin, als an eine gotische Kathedrale zu denken, an das architektonische
Prinzip, aus Strebepfeilern, Kreuzgratgewölben, Glasfenstern einen
Bau der Schwerelosigkeit zu schaffen.
Dass Wilken Skurk das erzählende Moment bei seiner bildhauerischen
Arbeit tatsächlich wörtlich nimmt, mag zum Schluss die Skulptur
Quingelwingelqui beweisen. Bei meinem Besuch des Künstlers im vergangenen
Sommer hieß sie übrigens noch „Sputnik“. Herr Quingelwingelqui
ist eine Figur aus einem Kinderbuch. Er trägt einen großen
breitkrempigen Hut, so dass sein Gesicht verdeckt ist, sitzt auf einem
Baum und beklagt sich über seine Einsamkeit. Da kommen plötzlich
lauter Tiere heran gekrochen, Vögel setzen sich auf seinen Hut und
unterhalten sich mit ihm. Plötzlich ist Herr Quingelwingelqui nicht
mehr einsam. Und wie passen diese Geschichte und die Form der Plastik
zusammen? Ich meine, gar nicht, Titel sind eben austauschbar bei Wilken
Skurk. Weder lassen sich die drei Glaspfeiler mit den rechtwinkligen Plinthen
zu einem Baum noch das grau-blau eingeriebene, bronzene Gebälk, das
wie Beton aussieht, zu einem breitrandigen Hut umstilisieren. Nein, es
geht hier um die bloße Vorstellung von luftiger Höhe und Bedachung.
Den Eindruck des Emporstrebens vermitteln die transparenten, bläulich
eingefärbten Glasstützen – die Atmosphäre, den Himmel
verbindet man stets mit lichtem Azurblau. Dagegen bildet das horizontal
aufliegende, steinartige Gebälk wie in der Architektur auch einen
oberen Abschluss. Trotz der dunklen Nischen und der abgetreppten Terrasse
bedeutet es Last und Schutz zugleich.
Und was folgt aus diesen Ausführungen? Wilken Skurk hat aus meiner
Sicht in den letzten zwei Jahren eine enorme Entwicklung durchlaufen,
wie diese Ausstellung klar verdeutlicht. Hat er zuvor das Geschichtenerzählen,
das „Liebliche“, bei seinen Skulpturen herausgestrichen, was
durchaus seinen Reiz ausübte, ist seine Formensprache nun vollständig
abstrakt. Das Prinzip des „Mixed media“, wie es in der heutigen
Kunst gang und gäbe ist, verfolgt er dabei souverän, indem er
mit der körperlichen Beschaffenheit der Materialien beliebig spielt
und ihnen bestimmte Bedeutungen unterlegt. Dem Werkstoff Glas weist der
Künstler hierbei keine herausragende Rolle zu, wenn er auch einen
inneren Bezug dazu hat.
Für die Galerie B markiert diese Werkschau ebenfalls eine Zäsur
in deren gesamter Ausstellungstätigkeit. Hat die Galerie vorher mit
den Stilrichtungen in der internationalen Glassszene Schritt gehalten,
immerzu auf der Suche nach dem Aktuellen, noch nie Dagewesenen, wendet
sie sich nun einem neuen Konzept zu. Norbert Prangenberg, der Leiter der
Glas- und Keramikklasse an der Münchner Akademie der Bildenden Künste,
formulierte dies einmal so: Die Arbeit mit Glas sei für ihn und seine
Studenten ein Teil der allgemeinen Kunst.
Liebe Barbara, ich bewundere Deinen Mut.
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